von Prof. Dr. Renate Rasch, Professorin am Institut für Mathematik der Universität Koblenz-Landau
Sachaufgaben können in besonderer Weise mathematisches Denken unterstützen und voranbringen. Schon bevor das Rechnen an sich erlernt wird, können Kinder in Sachsituationen eingebettete mathematische Zusammenhänge erfolgreich bewältigen, z. B. bei der folgenden Situation:
Lilly zählt 9 Legosteine auf dem Tisch. Beim Aufräumen fallen 3 Steine herunter. Wie viele liegen noch auf dem Tisch?
Solche mit ihrer unmittelbaren Lebensumwelt verbundene Geschehnisse können sich schon Vorschulkinder gut vorstellen, in Handlungen einbinden und in der Regel mit Hilfe von Material lösen: 9 werden gelegt, 3 müssen weggenommen werden. Zählend können Ausgangs- und Endmengen bestimmt werden. Dazu ist die symbolische Ebene „9 – 3 = 6“ zunächst nicht notwendig. Das Zuordnen einer solchen abstrakten Ebene, man könnte auch sagen eines mathematischen Modells (hier: die Subtraktion), wird in der Schule erlernt und durch diese Anforderung wird das Sachrechnen tatsächlich schwieriger.
Bei der Entwicklung dieser Ebene muss also besondere Sorgfalt aufgewendet werden. Wenn schon junge Kinder Aufgaben wie die obige anschaulich lösen können, liegt es nahe, ausgehend von dieser Anschaulichkeit die symbolische Ebene zu gewinnen. Die Lernenden benötigen hierfür unterschiedlich viel Zeit und haben unterschiedlichen Unterstützungsbedarf. Um der Heterogenität unter der Schülerschaft gerecht zu werden, sollte das Lösen von Sachaufgaben als Lernprozess gesehen und nicht an allzu starre Vorgaben gebunden werden.
Für einen Teil der Kinder ist das Lesen einer Sachaufgabe die erste Hürde. Um den Verstehensprozess zu unterstützen, ist das ausdrucksstarke Vorlesen durch die Lehrkraft wichtig, die Schüler können die zweiten Leser sein. Idealerweise werden mit dem Vorstellen des Textes mentale Prozesse bei den Lösenden in Gang gesetzt – eine wichtige Basis, um ein Situationsmodell zu gewinnen (sich die Sachsituation gut vorstellen zu können) und ein mathematisches Modell ableiten zu können (Wie kann ich vorgehen? Wie kann ich rechnen?).
Einen Teil des Unterstützungsbedarfs sollten die Lösenden selbst aktivieren. Dies kann erlernt werden. Beim frühen Sachrechnen mit den Jahrgängen 1 und 2 sollte Material bereitliegen, das zum Darstellen der Zusammenhänge genutzt werden kann.
Da die Voraussetzungen zum Lösen und die Denkwege der Kinder so unterschiedlich sind, sollten sie auf ihre Weise Lösungswege und Lösungen darstellen können und schon früh lernen, ihr Denken auch auf dem Papier zu dokumentieren. Anfangs wirken diese Verschriftlichungen noch recht bescheiden, entwickeln sich aber schon in kurzer Zeit und sichern eine höhere Bewusstheit für das eigene Vorgehen sowie für den Austausch mit Mitschülern und Lehrkraft. Nicht die perfekte Rechenaufgabe oder der vollständige Antwortsatz stehen im Mittelpunkt, sondern das individuelle Darstellen von Denkwegen zur Lösungsunterstützung.