von Prof. Dr. sc. Werner Stoye, Mathematiker, Lerntherapeut, Autor und Herausgeber zahlreicher Lehr- und Lernmaterialien
„Die eindrucksvollste kognitive Fähigkeit des Menschen ist der Gebrauch von Sprache.“ (John R. Anderson: Kognitive Psychologie. Heidelberg 1989, Seite 282)
Mangelnder Schulerfolg ist oft auf unzureichende sprachliche Fähigkeiten zurückzuführen. Sinnerfassendes Lesen ist eine Grundvoraussetzung für erfolgreiches Lernen. Deshalb ist es ein wichtiges Ziel der ersten Schuljahre, dieses sinnerfassende Lesen auszubilden. Dazu gehört nicht nur, Sinneinheiten lesend zu erfassen, sondern auch die Bedeutung einzelner Wörter richtig zu interpretieren. In fast allen Unterrichtsfächern müssen Zusammenfassungen oder Aufträge erlesen werden.
Sachaufgaben im Mathematikunterricht können nur erfolgreich bewältigt werden, wenn der in der Aufgabe dargestellte Sachzusammenhang richtig erlesen, die Bedeutung der einzelnen Wörter beachtet, die in Rede stehende Sache erfasst wird, aber auch die Einordnung der Sache in die bereits gewonnenen Lebenserfahrungen gelingt.
Sprache ist die zentrale Basis für erfolgreiches Lernen in jedem Fach und deshalb muss auch jeder Fachunterricht zugleich Sprachunterricht sein. Das gilt natürlich auch für den Mathematikunterricht. Das Kommunizieren über Mathematik dient zugleich auch der allgemeinen Sprachentwicklung des Lernenden, d. h. der Entwicklung des Verstehens und des Produzierens von mündlichen und schriftlichen Äußerungen.
Dazu kommt die Entwicklung der fachsprachlichen Kompetenz, die wegen des Gegenstands der Mathematik auch logische Kompetenzen beinhaltet. Deshalb sprechen wir hier von sprachlich-logischen Fähigkeiten. Fachsprachliche Kompetenz schließt das Verstehen und das Produzieren mündlicher und schriftlicher fachsprachlicher Äußerungen ein. Bereits in den ersten Schuljahren sind die Kinder gefordert, eine Vielzahl fachsprachlicher Begriffe zu lernen.
Erschwerend ist dabei, dass einige Begriffe im Fach Mathematik nicht in gleicher Bedeutung genutzt werden wie in der Umgangssprache, z. B. das Bindewort „oder“. In der Umgangssprache wird „oder“ fast immer im Sinne von „entweder – oder“ gebraucht. Sagt man, dass man heute oder morgen ins Kino ginge, so meint man, dass man an genau einem der beiden Tage das Kino besucht. Spricht man in der Mathematik davon, dass eine Zahl Primzahl oder gerade sei, so meint man, dass wenigstens eine von beiden Eigenschaften zutrifft. Es können auch beide Eigenschaften zutreffen.
Zur fachsprachlichen Kompetenz gehören also: