Einblicke in eine erfolgreiche Initiative zur Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen
„Bei den Erzählprojekten werden die Schüler regelrecht ,verzaubert‘ und einige von ihnen wirken wie verwandelt“, berichtet Dr. Kristin Wardetzky, Professorin i. R. für Theaterpädagogik an der Universität der Künste Berlin.
„Wir konnten beobachten, dass die Kinder oft 40 Minuten oder länger unabgelenkt den Erzählerinnen und Erzählern lauschen und sogar komplexe Geschichten mit den Bildern, Motiven und Stilmerkmalen des Volksmärchens erfinden.“
Märchen und Mythen begeistern
Prof. Wardetzky entwickelte 2005 das Projekt „Sprachlos“ zur Sprachförderung von Kindern nicht deutscher Herkunftssprache an Berliner Schulen und Kitas. Es ist inzwischen zur Initiative „ErzählZeit“ herangewachsen, bei der an Kitas, Grund- und weiterführenden Schulen internationale Märchen und Mythen erzählt werden. Die Kinder erzählen die gehörten Märchen nach und erfinden dabei auch eigene Geschichten. So werden sie selbst zu Erzählerinnen und Erzählern.
Wachsende Sicherheit im Verständnis und im Gebrauch der Sprache
Das Erzählen gleicht in diesem Projekt weniger dem Lehren, sondern vielmehr einem Spiel. „In dieses Spiel bringen sich die Kinder nach ihrem eigenen Tempo, Temperament und Gusto ein – ohne Druck, ohne Zwang, selbstbestimmt, nach freiem Willen“, so Prof. Wardetzky.
So entstand bei den Kindern eine wachsende Sicherheit im Verständnis und im Gebrauch der Sprache. Ebenso ermöglichte es ihnen die Teilhabe am kulturellen Leben, da mit dem mündlichen Erzählen auch die Sprachbarrieren überwunden werden konnten.
Bei dem Langzeit-Erzählprojekt in Schulen und Kitas zeigte sich, dass vor allem Kinder nicht deutscher Herkunftssprache, die im Sprachstandstest zu Beginn ihrer Schulkarriere elementare Wörter der deutschen Sprache nicht verstehen konnten oder denen Bücher oder das Ritual des abendlichen (Märchen-)Erzählens zuvor unbekannt war, nach ein- oder zweijährigem Projektverlauf selbst erfundene Geschichten in einer sinnvollen Struktur erzählen konnten.
Professionelle Erzählerinnen und Erzähler
Die Erfolge des Projekts sind zum einen auf die Langfristigkeit und die Intensität der Begegnung mit den mündlich vermittelten Märchen zurückzuführen, zum anderen auf die Professionalität der Erzählerinnen und Erzähler.
In das Handwerk des mündlichen Erzählens führt die Weiterbildung „Künstlerisches Erzählen – Storytelling in Art and Education“ am Berlin Career College der Universität der Künste Berlin (UdK) berufsbegleitend ein. Neben der pädagogischen Arbeit an Schulen und Kindergärten arbeiten die ausgebildeten Erzählerinnen und Erzähler auch in Museen, Bibliotheken, Krankenhäusern, Kirchen und (sozio-)kulturellen Einrichtungen.
„Wir alle sind ohne Erzählen und Erzählungen undenkbar, Kommunikation ist ein Grundbaustein unseres Alltags und jeder Kultur“ , erklärt die norwegische Erzählerin Ragnhild A. Mørch, die als Leiterin der Weiterbildung tätig ist.
Wiederentdeckung des Erzählens - auch in der Schule?
Aber auch Lehrkräfte, die sich für die Wiederentdeckung des Erzählens in der Schule stark machen möchten, könnten mit ähnlichen Projekten nachhaltige Veränderungen im Bereich der Sprachförderung anstoßen. Das lebendige Erzählen brachte nach Aussagen des Lehrpersonals von „ErzählZeit“ Ergebnisse, die in dieser Weise von keinem anderen Projekt im Bereich der Sprachförderung von Kindern nachzuweisen sind.