Kürzlich erschien unsere Studie zum Thema „Hausaufgaben, Lernschwierigkeiten und familiäre Belastung“. Im Interview beantworten Dr. Lorenz Huck und Dr. Anja Berding die wichtigsten Fragen zur Studie.
Frau Dr. Berding, Herr Dr. Huck, in der sogenannten HaLFa-Studie geht es um die Hausaufgabensituation von Kindern und Jugendlichen, die eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Rechenschwäche haben. Wieso haben Sie sich mit dieser Fragestellung beschäftigt?
Berding: Als Lerntherapeuten, die regelmäßig mit Kindern und Eltern arbeiten, haben wir Erfahrungswissen: Wir haben persönlich schon häufig mit Familien zu tun gehabt, in denen die Hausaufgabensituation sehr schwierig war. Kinder, die sich mit Aufgaben zum Lesen, Schreiben und Rechnen überfordert fühlen, wollen verständlicherweise die Beschäftigung damit am liebsten völlig vermeiden. Sie trödeln, fordern auf teilweise sehr problematische Art Unterstützung ein, verhandeln mit den Eltern über jede Aufgabe oder verweigern sich völlig. Eltern fühlen sich damit oft überfordert und können nicht immer nachvollziehen, warum ihr Kind wegen einer aus Elternsicht überschaubaren Aufgabe „so ein Theater“ macht. Die Unterstützung, die Eltern in dieser Situation anbieten, kann vom Kind als Einmischung oder Kontrolle empfunden werden und verstärkt die Verweigerungshaltung dann eher noch. Schließlich kommt es zu Konflikten, die zum Teil recht weit eskalieren und das ganze Familienleben beeinträchtigen können.
Huck: Zu diesen praktischen Erfahrungen kommt, was wir aus unserer Duden-Lerntherapie-Studie (DLT-Studie) wissen, die wir 2017 durchgeführt haben: Bei der Untersuchung von mehr als 1200 Therapieverläufen fanden wir Hinweise, dass Kinder mit einer LRS und/oder Rechenschwäche regelmäßig sehr lange, häufig sogar zu lange mit ihren Hausaufgaben beschäftigt waren. In der DLT-Studie spielten Hausaufgaben aber nur ganz am Rande eine Rolle und wir konnten längst nicht alle Fragen betrachten, die uns im Zusammenhang mit Hausaufgaben interessierten. Also haben Anja Berding und ich eine weitere Untersuchung konzipiert.
Wie genau sind Sie vorgegangen?
Berding: Wir haben mehr als 200 Eltern befragt, deren Kinder wegen einer Lese-Rechtschreib-Schwäche und/oder Rechenschwäche eine integrative Lerntherapie in einem Duden Institut besuchten. Insgesamt zwölf Standorte aus ganz Deutschland haben sich daran beteiligt. In einem Fragebogen gaben die Eltern u. a. Auskunft dazu, wie lange, wo und mit welcher Unterstützung ihre Kinder an Hausaufgaben arbeiten. Zudem sollten sie angeben, wie stark ihre Familie durch die Hausaufgabensituation belastet ist.
Huck: Mit relativ einfachen statistischen Mitteln haben wir dann nach Auffälligkeiten und Mustern in den erhobenen Daten gesucht. Eine solche Herangehensweise nennt man explorativ, also erkundend, weil man nicht vorab eine bestimmte Annahme hat, die man überprüfen möchte.
Sind Kinder mit einer LRS oder Rechenschwäche denn durch die Hausaufgabensituation besonders belastet?
Huck: Es ist jedenfalls bedenklich, dass 64 % – also eine deutliche Mehrheit der Eltern – angaben, dass ihre Familien durch die Hausaufgaben stark oder sehr stark belastet sind. Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass es eine Art Selbstauswahl gab, dass also nur Eltern an der Studie teilgenommen haben, die sich über die Hausaufgabensituation beschweren wollten.
Berding: Statistisch steht die starke Belastung mit zwei weiteren Variablen in Zusammenhang: einem großen zeitlichen Umfang der Hausaufgaben und einem hohen Unterstützungsbedarf der Kinder in der Hausaufgabensituation. Wir können keine Aussage dazu machen, was dabei Ursache ist und was Folge, der Zusammenhang ist aber sehr deutlich. Hier scheint sich ein Muster zu bestätigen, das aus der Forschung bereits bekannt ist, z. B. aus einer groß angelegten Befragung von Moroni, Dumont und Trautwein (2016). Kinder mit LRS oder Rechenschwäche sind anscheinend eine Risikogruppe für starke Belastung durch Hausaufgaben.
Huck: Wir haben natürlich auch eine offene Frage gestellt, damit die Eltern uns wirklich alles mitteilen können, was sie zum Thema „Hausaufgaben“ bewegt. Ein Elternteil schrieb zu dem Zusammenhang, den Anja Berding gerade geschildert hat: „Mein Kind geht von 8 bis 14 Uhr zur Schule und […] bis 15 Uhr in den Hort für Hausaufgaben, zuzüglich 60–90 Minuten täglich Hausaufgaben, die in der Schule nicht geschafft wurden. […] Da kommen insgesamt 40–45 Stunden zusammen pro Woche an Schule und Lernen. […] Somit ist Stress in der Familie garantiert.“
Wie groß war denn der zeitliche Umfang bei den HaLFa-Kindern im Mittel?
Huck: Einen Mittelwert über die gesamte Stichprobe zu bilden wäre in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll gewesen. Wir haben für jede Klassenstufe die täglichen Hausaufgabenzeiten ermittelt und zu den Vorgaben von den sechs Bundesländern ins Verhältnis gesetzt, die landesweit einheitliche Regelungen zur Dauer der Hausaufgaben getroffen haben: Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Berding: Wir konnten so z. B. zeigen, dass etwa ein Fünftel der in die Studie einbezogenen Dritt- und Viertklässler regelmäßig länger mit den Hausaufgaben beschäftigt sind, als in den sechs genannten Ländern maximal vorgesehen ist.
Welche Fragen sind für Sie offengeblieben?
Huck: Zu allem, was wir bereits besprochen haben, kann man sagen, dass eine weitere, noch gründlichere wissenschaftliche Arbeit wünschenswert wäre, um die Fragen einer Klärung näherzubringen. Als praktische Einrichtung, die in erster Linie dazu da ist, Kindern und Familien zu helfen, können wir das nur in Kooperation mit Universitäten leisten.
Berding: Eine spannende Frage, die wir völlig offenlassen mussten, ist z. B., inwiefern die Ganztagsschule mit ihrem Nachmittagsangebot für eine Entlastung von Kindern mit einer Lese-Rechtschreib- und/oder Rechenschwäche sorgen kann. Britta Kohler hat dazu in ihrem Buch zu Hausaufgaben sehr interessante Ausführungen gemacht.
Frau Berding, Herr Huck, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Eva Jurkewitz.
Kontakt zu den Autoren der Studie:
Dr. Lorenz Huck Diplom-Psychologe und Leiter der Abteilung Forschung, Entwicklung und Ausbildung der Duden Institute für Lerntherapie E-Mail: huck@duden-institute.de
Dr. Anja Berding MA Psychologie und Leiterin des Fachbereichs Mathematik des Duden Instituts für Lerntherapie Berlin-Mitte E-Mail: berding@duden-institute.de
Mit der Frage, wie man die problematische Hausaufgabensituation von Kindern mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche und/oder Rechenschwäche verändern kann, beschäftigt sich der Beitrag von Dr. Lorenz Huck.