Rezension von Dr. Lorenz Huck, Fachbereichsleiter Interdisziplinäre Integration
Ingrid Naegele ist Fachleuten lange als renommierte Wissenschaftlerin, (Ko-)Autorin zahlreicher Fachbücher und Entwicklerin von Fördermaterialien bekannt. Mit ihrem Ratgeber „Schulerfolg trotz LRS“ will sie Eltern „informieren, aufklären und (…) in der Praxis bewährte Tipps vorstellen“ (S. 9).
Im Abschnitt „LRS verstehen“ stellt sie ihre Sichtweise auf Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten dar: Besonders wichtig ist ihr zu betonen, dass Lese-Rechtschreib-Schwäche kein lebenslanges Schicksal ist und dass durch regelmäßiges Üben große Fortschritte erzielt werden können – ganz nach der Maxime: „Lesen lernt man nur durch Lesen, Schreiben nur durch Schreiben!“ Richtig geübt werden kann laut Naegele allerdings nur, was verstanden wurde: Kinder müssen „kognitive Klarheit“ entwickeln. Sie müssen u. a. schon früh verstehen, dass der Zusammenhang zwischen gesprochener und geschriebener Sprache nicht eindeutig ist, dass z. B. viel mehr Laute als Buchstaben existieren und teilweise recht komplizierte Zuordnungsregeln zu beachten sind.
Im Kapitel „LRS vorbeugen“ informiert Naegele u. a. über Möglichkeiten vorschulischer Förderung, diskutiert die unterschiedlichen Ausgangsschriften, die in der Schule vermittelt werden, gibt Hinweise zur Schreibmotorik und zum konstruktiven Umgang mit Lehrerinnen und Lehrern. Immer wieder greift sie dabei ganz konkrete Fragen auf, die sich Eltern stellen: „Welche Schulform ist für mein Kind geeignet?“ „Welche Fremdsprache sollte es wählen?“ „Kann eine Klassenwiederholung hilfreich sein?“
Der dritte Abschnitt „Praktische Hilfe bei LRS“ gibt sehr konkrete Tipps zur Gestaltung von Übungen, z. B. zum Einsatz eines „Lesepfeils“ oder einer „Lernkartei“. Hier finden sich auch Hinweise zur Verwendung von neuen Medien und Spielen.
Im abschließenden Kapitel „Außerschulische Hilfe bei LRS“ beschäftigt sich Naegele mit der Frage, wie Eltern eine gute lerntherapeutische Einrichtung für ihr Kind finden können, wenn professionelle Förderung notwendig ist. Therapeuten und Therapeutinnen sollen gut qualifiziert sein, nach klaren Konzepten und nach einem individuell auf das Kind angepassten Therapieplan arbeiten. Wichtig sind für Naegele aber auch praktisch-organisatorische Fragen: Werden Eltern genötigt, einen langfristigen Vertrag ohne monatliche Kündigungsmöglichkeit abzuschließen, ist aus ihrer Sicht z. B. Vorsicht geboten.
Dass Kinder mit ihren Nöten, aber auch mit ihren Fähigkeiten und Stärken für Naegele im Mittelpunkt stehen, zeigt sich auch daran, dass sich zu fast jedem Thema ein kleiner Text eines Therapiekindes findet – oft im handschriftlichen Original wiedergegeben.
In „Schulerfolg trotz LRS“ bezieht sie klare Positionen zu den vielen umstrittenen Fragen, die im Zusammenhang mit großen Schwierigkeiten beim Lesen- und Schreibenlernen diskutiert werden. Dabei beeindruckt ihr fester Glaube daran, dass jedes Kind das Lesen und Schreiben erlernen kann.
Schulerfolg trotz LRS. Wie Eltern vorbeugen und gezielt fördern können. Ingrid M. Naegele (2017). Weinheim, Basel: Beltz. ISBN 978-3-407-86410-9